Sind die Komponenten einer Legierung im festen Zustand völlig unlöslich ineinander, dann bildet sich ein Gemisch aus Reinkristallen (Kristallgemisch).

Einleitung

Sind die beiden Komponenten eines Zweistofflegierungssystems im festen Zustand ineinander vollkommen unlöslich, so spricht man von einer Kristallgemischlegierung. Für diesen Fall bilden die beiden Komponenten jeweils ein eigenes Kristallgitter. Die einzelnen Kristalle sind dabei lediglich aus den Atomen des entsprechenden Stoffes aufbaut, d.h. es handelt sich um Reinkristalle. Deshalb auch die Bezeichnung „Kristallgemisch“, d.h. ein Gemisch aus unterschiedlich aufgebauten (Rein-)Kristallen.

Schematisches Gefüge einer vollständigen Unlöslichkeit der beiden Komponenten im festen Zustand
Abbildung: Schematisches Gefüge einer vollständigen Unlöslichkeit der beiden Komponenten im festen Zustand

Das Legierungssystem Bismut/Cadmium weist ein solches Kristallgemischverhalten über nahezu den gesamten Mischungsbereich auf. Im Folgenden soll deshalb das Legierungssystem Bismut/Cadmium exemplarisch als typische Kristallgemischlegierung näher erläutert werden.

Eine vollkommene Unlöslichkeit der Komponenten im festen Zustand wird auch als Kristallgemisch bezeichnet!

Abkühlkurven

Die Abkühlkurven von Kristallgemischlegierungen weisen im Allgemeinen nicht mehr nur einen Knickpunkt während der Erstarrung auf sondern zusätzlich auch noch einen Haltepunkt. Während der Knickpunkt den Beginn der Erstarrung einleitet, endet die Erstarrung in einem Haltepunkt. Je nach Legierungskonzentration setzt der Knickpunkt und damit der Erstarrungsbeginn bei unterschiedlichen Temperaturen ein. Das Erstarrungsende findet hingegen unabhängig von der Legierungskonzentration immer in einem Haltepunkt bei derselben Temperatur statt!

Abkühlkurven eines Legierungssystems mit vollkommener Unlöslichkeit der Komponenten
Abbildung: Abkühlkurven eines Legierungssystems mit vollkommener Unlöslichkeit der Komponenten

Kristallgemischlegierungen erstarrten im Allgemeinen in einem Temperaturbereich, wobei die Erstarrung immer bei derselben Temperatur beendet ist (Haltepunkt)!

Ausgehend von reinem Bismut wird der Erstarrungsbeginn mit steigendem Cadmiumgehalt zunächst immer mehr zu niedrigeren Temperaturen hin verschoben. Bei einer Legierungskonzentration von 40 % Cadmium ist der Knickpunkt bzw. der Erstarrungsbeginn so weit abgesunken, dass dieser sogar mit dem Haltepunkt zusammenfällt. Diese spezielle Legierung erstarrt wie ein Reinstoff mit lediglich einem Haltepunkt (eutektische Legierung). Wird die Cadmiumkonzentration nun weiter erhöht, so verschiebt sich der Erstarrungsbeginn wieder zu höheren Temperaturen hin und endet schließlich bei der Erstarrungstemperatur des reinen Cadmiums.

Um die unterschiedlichen Erstarrungsbereiche in Abhängigkeit der Legierungszusammensetzung übersichtlich darzustellen, bietet es sich an dieser Stelle wieder an ein Phasendiagramm zu erstellen. Auf dessen Erstellung wird im nächsten Abschnitt näher eingegangen.

Phasendiagramm

Erstellen des Phasendiagramms

Das Phasendiagramm einer Kristallgemischlegierung wird analog zu dem einer Mischkristalllegierung erstellt. Hierzu werden aus ausgewählten Abkühlkurven der Erstarrungsbeginn und das Erstarrungsende in ein Konzentrations-Temperatur-Diagramm übertragen. Auf diese Weise erhält man schließlich wieder zwei charakteristische Linienzüge. Die oberen Linienzüge kennzeichnen den Erstarrungsbeginn (Liquiduslinie) und die untere horizontale Linie das Erstarrungsende (Soliduslinie).

Erstellung des Phasendiagramms eines Legierungssystems mit vollkommener Unlöslichkeit der Komponenten (Kristallgemischlegierung)
Abbildung: Erstellung des Phasendiagramms eines Legierungssystems mit vollkommener Unlöslichkeit der Komponenten (Kristallgemischlegierung)

Es zeigt sich, dass die Liquiduslinien ausgehend der jeweiligen Reinstoffe abfallen. Offensichtlich wird der Erstarrungsbeginn durch die Anwesenheit des jeweils anderen Stoffes zu niedrigen Temperaturen hin verschoben. Die abfallenden Liquiduslinien treffen sich schließlich in einem gemeinsamen Punkt. Dieser besondere Punkt auch auch als eutektischer Punkt bezeichnet.

Die Soliduslinie liegt mit Ausnahme der Reinstoffe hingegen unabhängig der Legierungskonzentration immer bei derselben Temperatur. Auch wenn sich also für jede Legierung ein anderer Erstarrungsbeginn ergibt, so liegt das Erstarrungsende für alle Legierungen jedoch immer bei derselben Temperatur (hier: 146 °C). Die horizontal verlaufende Soliduslinie wird oft auch als Eutektikale bezeichnet.

Zwischen Liquidus- und Soliduslinie vollzieht sich die eigentliche Gefügebildung (Kristallisation). In diesem Bereich sind Teile der Legierung bereits erstarrt, während sich andere noch im flüssigen Zustand befinden („breiiger“ Zustand). Bei diesen Bereichen handelt es sich somit wieder um Zweiphasengebiete. Beachte, dass sich dabei jeweils ein Zweiphasengebiet rechts und links des eutektischen Punktes befindet.

Das Phasendiagramm einer Kristallgemischlegierung (vollkommene Unlöslichkeit der Komponenten im festen Zustand) sieht also grundsätzlich anders aus als bei einer Mischkristalllegierung (vollkommene Löslichkeit der Komponenten im festen Zustand). Während die Linienzüge im Phasendiagramm einer Mischkristalllegierung einen „linsenförmigen“ Zweiphasenbereich markieren, bilden die Linienzüge bei einer Kristallgemischlegierung ein liegendes „K“. Man kann sich dies relativ einfach merken:

Kristallgemischlegierungen weisen ein liegendes K im Zustandsdiagramm auf!

Offensichtlich laufen während der Kristallisation von Kristallgemischlegierungen unterschiedliche atomare Prozesse ab, die anfänglich zu einem Knickpunkt führen und abschließend in einem Haltepunkt enden. Welche Vorgänge zu einem solchen Verhalten führen, wird in den nächsten Abschnitten näher erläutert.

Reales Phasendiagramm (begrenzte Löslichkeit)

Das oben abgebildete Phasendiagramm erweckt in den Randbereichen den Eindruck als bewirke die Zugabe einer noch so geringen Konzentration an Cadmium bzw. Bismut eine sofortige Verschiebung des Erstarrungsendes auf 146 °C (siehe Soliduslinie). Obwohl die beiden Stoffe im festen Zustand im Prinzip ineinander nicht löslich sind, so lassen sich in der Realität dennoch geringe Konzentrationen des einen Stoffes im jeweils anderen Stoff lösen.

Reales Phasendiagramm eines Legierungssystems mit begrenzter Löslichkeit der Komponenten
Abbildung: Reales Phasendiagramm eines Legierungssystems mit begrenzter Löslichkeit der Komponenten

Deshalb fällt die Soliduslinie ausgehend der Reinstoffe in Wirklichkeit nicht sofort ab, sondern allmählich (siehe gestrichelte Linien). Beachte, dass für ein Reinstoff die Liquiduslinie und Soliduslinie im Prinzip aufeinander fallen müssen, da der Erstarrungsbeginn und das Erstarrungsende ja bei einer gemeinsamen Temperatur liegen (Haltepunkt). Deshalb muss die Soliduslinie in den Randbereichen zur Liquiduslinie hin verlaufen.

Es handelt sich bei dieser Diagrammform bereits um eine Vorstufe zum Phasendiagramm eines Legierungssystems mit begrenzter Löslichkeit der Komponenten im festen Zustand. Auf diesen Legierungstyp wird in einem gesonderten Kapitel näher eingegangen.

Lesen des Phasendiagramms

Eutektische Legierung

Zunächst wird die Gefügeentstehung am Beispiel der eutektischen Legierung BiCd40 betrachtet. Zur besseren Orientierung ist es wieder sinnvoll die Legierung als vertikale Linie in das Zustandsdiagramm einzutragen.

Gefügeentstehung einer eutektischen Legierung mit vollkommener Unlöslichkeit der Komponenten
Abbildung: Gefügeentstehung einer eutektischen Legierung mit vollkommener Unlöslichkeit der Komponenten

Ausgehend des schmelzflüssigen Zustandes führt die Abkühlung zunächst zur Verringerung der Bewegungsenergie der Bismutatome und Cadmiumatome. Aufgrund der stark unterschiedlichen chemischen Eigenschaften behindern sich die Stoffe zunächst gegenseitig am Kristallisieren. Die Erstarrungstemperatur der Legierung liegt deshalb unterhalb der der Reinstoffe. Im Falle der eutektischen Legierung hat sich der Erstarrungsbeginn (Liquiduslinie) sogar so weit abgesenkt, dass dieser im Phasendiagramm mit dem Kristallisationsende (Soliduslinie) zusammenfällt. Eutektische Legierungen erstarren also wie Reinstoffe in einem reinen Haltepunkt.

Eutektische Legierungen erstarren bei konstanter Temperatur und weisen die niedrigste Erstarrungstemperatur des gesamten Legierungssystems auf!

Ist die Temperatur schließlich auf den eutektischen Punkt abgesunken, so ist die Unterkühlung so weit fortgeschritten (vgl. Erstarrungstemperatur der Reinstoffe von 271 °C bzw. 321 °C vs. örtliche Temperatur von 146 °C), dass nun beide Stoffe zeitlich gleichzeitig aber jede für sich bei konstanter Temperatur beginnen zu kristallisieren.

Aufgrund der starken Unterkühlung haben sich dabei sehr viele Keime gebildet. Um diese lagern sich die jeweiligen Atome nun mehr und mehr an und das Gefüge beginnt sich zu bilden. Jeder wachsende Kristall besteht dabei entweder aus reinen Bismutatomen oder reinen Cadmiumatomen. Schließlich besteht bei Kristallgemischlegierungen Unlöslichkeit im festen Zustand, d.h. die unterschiedlichen Atome lassen sich nicht in einer gemeinsamen Kristallstruktur mischen. Sie sind also gezwungen jeweils eigene Reinkristalle zu bilden.

Die einzelnen Kristallite wachsen im weiteren Verlauf durch Anlagerung weiterer Atome stetig weiter. Die einzelnen Körner beginnen gegen Ende der Erstarrung schließlich aneinanderzustoßen. Nachdem die Restschmelze völlig aufgezehrt ist, ist der Kristallisationsprozess abgeschlossen.

Aufgrund der starken Unterkühlung ist dabei ein sehr feinkörniges Gefüge entstanden, das auch als Eutektikum bezeichnet wird. Als Gefügebestandteil ist das Eutektikum somit ein Kristallgemisch bzw. Phasengemisch, bestehend aus feinverteilten Bismutkristallen und Cadmiumkristallen. Eine weitere Abkühlung führt schließlich nur noch zu einer Senkung der Temperatur, das Gefüge ändert sich dabei nicht weiter. Die Gefügebildung ist abgeschlossen.

Die Schmelze ist während der Kristallisation stark unterkühlt. Diffusionsprozesse in der Schmelze und im Kristall sind hierdurch stark gehemmt. Die Teilchen sind somit relativ träge und können nur kurze Wege zurücklegen. Dies führt meist zu einem feinen nadel- oder lamellenförmigen Kristallwachstum. Deshalb weisen die Körner bei einer eutektischen Legierung oft keine rundliche Form auf, sondern eine nadelförmige bzw. lamellenförmige Struktur!

Als Eutektikum bezeichnet man das aus der Schmelze entstehende, fein verteilte Phasengemisch (meist lamellenförmig), welches sich bei konstanter Temperatur im eutektischen Punkt bildet!

Durch das sehr feine Gefüge weisen eutektische Legierungen im Allgemeinen sehr gute Festigkeits- und Zähigkeitswerte auf. Dies liegt an der erschwerten Versetzungsbewegung über die feinlamellare Struktur hinweg. Die Lamellen dienen sozusagen als „Barrierehindernisse“ für die Versetzungen.

Des Weiteren besitzen eutektische Legierungen den niedrigsten Schmelzpunkt im gesamten Legierungssystem. Gerade deshalb eigenen sie sich hervorragend als Gusswerkstoffe oder Lote. Denn umso geringer die Verarbeitungstemperatur eines Gusswerkstoffes, desto geringer sind die Anforderungen an die jeweiligen Gussformen.

Außerdem erstarren eutektische Legierungen nicht in einem weiten Temperaturbereich sondern in einem Temperaturpunkt, sodass sich das Schwindmaß entsprechend gering halten lässt. Als Schwindmaß bezeichnet man dabei die Volumenverkleinerung während des Erstarrens.

Eutektische Legierungen weisen gute Festigkeits- und Zähigkeitseigenschaften auf und werden häufig als Gusswerkstoffe oder Lote eingesetzt.

Untereutektische Legierung

Im Folgenden wird auf die Gefügeentstehung am Beispiel der Bismut-Cadmium-Legierung BiCd15 näher eingegangen. Eine solche Legierung, die links vom eutektischen Punkt liegt, wird auch als untereutektische Legierung bezeichnet.

Als untereutektische Legierungen bezeichnet man Legierungen, die links des eutektischen Punktes liegen!

Untereutektische Legierungen erstarren grundsätzlich sowohl in einem Knickpunkt als auch in einem Haltepunkt. Dabei laufen jeweils unterschiedliche Vorgänge ab, die im Folgenden näher erläutert werden.

Gefügeentstehung einer untereutektischen Legierung mit vollkommener Unlöslichkeit der Komponenten
Abbildung: Gefügeentstehung einer untereutektischen Legierung mit vollkommener Unlöslichkeit der Komponenten

Auch an dieser Stelle hat die gegenseitige Beeinflussung der Komponenten zunächst wieder Auswirkung auf den Erstarrungsbeginn. Aufgrund der anwesenden Cadmiumatome in der Schmelze wird die Bildung von Bismutkeimen zunächst unterdrückt. Die Erstarrungstemperatur der Legierung liegt deshalb unterhalb des auf der linken Achse aufgetragenen Reinstoffes Bismut. Schließlich ist die Unterkühlung irgendwann so weit vorangeschritten, dass auch die Cadmiumatome den Kristallisationsbeginn der Bismutatome nicht mehr aufhalten können. Die Liquiduslinie ist erreicht und der Erstarrungsprozess beginnt.

Bei Unterschreiten der Liquiduslinie bilden sich zunächst einzelne Keime, die lediglich aus Bismutatomen bestehen. Die Bildung von Cadmiumkeimen wird dabei von den Bismutatomen durch die stark unterschiedlichen chemischen Eigenschaften zunächst vollständig unterdrückt!

Bei einer untereutektischen Legierung bilden sich während der Erstarrung im Zweiphasenbereich nur Kristalle, die aus dem Basisstoff bestehen (Primärkristalle)!

Die Bismutkeime wachsen bei weiterer Abkühlung zu größeren Kristallen heran, da sich immer mehr Bismutatome aus der Schmelze anlagern. Diese Kristallite bestehen lediglich aus Bismutatomen, da sich Cadmium aufgrund der Unlöslichkeit der Komponenten ja nicht in der Bismutkristallstruktur lösen lässt. Da bei diesem Erstarrungsvorgang Bismut offensichtlich als erstes aus der Schmelze auskristallisiert, bezeichnet man die entstehenden Bismutkristalle auch als Bismut-Primärkristalle (BiPk).

Bei weiterer Abkühlung lagern sich immer mehr Bismutatome aus der Restschmelze an die bereits vorhandenen Kristalle an. Folglich sinkt in der Restschmelze die Konzentration an Bismutatomen bzw. der Cadmiumgehalt der Schmelze steigt permanent an.

Die Cadmiumkonzentration in der Restschmelze (Sm) kann – wie bei der Mischkristalllegierung auch – durch das Fällen des Lotes auf die Konzentrationsachse bei der entsprechenden Temperatur abgelesen werden (hier: ~20 % bei ~200 °C).

Auf die analoge Weise kann im Übrigen auch die Zusammensetzung der Bismut-Primärkristalle (BiPk) bestimmt werden. Offensichtlich erhält man einen Cadmiumgehalt von 0 %; es handelt sich ja gerade um ein Bismut-Primärkristall, bestehend aus 100% Bismut. Beachte, dass für das Fällen des Lotes immer die entsprechende Phasengrenze angefahren werden muss – die Phasengrenze des Bi-Primärkristalls liegt in diesem Fall bei 0% Cadmium und somit 100% Bismut.

Durch Fällen des Lotes bei weiterer Abkühlung wird das Ansteigen des Cadmiumanteils durch das vermehrt ausgeschiedene Bismut in der Restschmelze direkt im Phasendiagramm sichtbar. So ist der Cadmiumgehalt der Restschmelze bei 175 °C bereits auf ca. 28 % gestiegen.

Der Cadmiumgehalt in der Restschmelze nähert sich somit immer mehr der eutektischen Zusammensetzung mit 40 % Cadmium an. Schließlich hat die Restschmelze bei 146 °C gerade die eutektische Zusammensetzung von 40 % Cadmium erreicht. Die Restschmelze verhält sich nun wie die Erstarrung der eutektische Legierung. Die eutektische Restschmelze beginnt somit in einem Haltepunkt bei konstanter Temperatur zum Eutektikum zu erstarren (fein verteilte Bismut- und Cadmiumkristalle).

Nachdem die Restschmelze vollständig zum Eutektikum erstarrt ist, ist der Kristallisationsprozess abgeschlossen. Das Gefüge besteht im erstarrten Zustand schließlich aus den zuvor ausgeschiedenen Bismut-Primärkristallen und dem zuletzt gebildeten Eutektikum. Eine weitere Abkühlung führt schließlich nur noch zu einer Senkung der Temperatur, das Gefüge ändert sich dabei nicht mehr.

Untereutektische Legierungen weisen primär ausgeschiedene Kristalle des Basisstoffes auf, die in einer eutektischen Grundmasse eingebettet sind!

Kristallgemischlegierungen werden aufgrund deren besonderen Gießeigenschaften auch als Gusslegierungen bezeichnet. Da das Gefüge im Allgemeinen jedoch primärausgeschiedene Kristalle enthält und somit relativ heterogen ist, eigenen sich diese Gusslegierungen nur bedingt für das Umformen. Mischkristalllegierungen hingegen weisen in der Regel ein homogenes Gefüge auf, da die Komponenten – anders als bei Kristallgemischlegierungen – vollständig ineinander löslich sind. Deshalb zeigen Mischkristalllegierungen im Allgemeinen ein besseres Umformverhalten und werden auch als sogenannte Knetlegierungen bezeichnet.

Übereutektische Legierung

Die Gefügeentstehung einer sogenannten übereutektischen Legierung (z.B. BiCd80) erfolgt auf analoge Weise wie bei einer untereutektischen Legierung.

Als übereutektische Legierungen bezeichnet man Legierungen, die rechts des eutektischen Punktes liegen!

Unterschied in der Gefügebildung besteht lediglich darin, dass sich bei Unterschreiten der Liquiduslinie Cadmium-Primärkristalle (CdPk) aus der Restschmelze ausscheiden. Dies führt zu einer entsprechenden Verarmung an Cadmiumatomen in der Restschmelze. Schließlich wird die Bismutkonzentration in der Schmelze bei 146 °C auf die eutektische Konzentration von 40 % gesunken sein. Nun beginnt die eutektische Restschmelze wiederum bei konstanter Temperatur zum Eutektikum zu erstarren.

Gefügeentstehung einer übereutektischen Legierung mit vollkommener Unlöslichkeit der Komponenten
Abbildung: Gefügeentstehung einer übereutektischen Legierung mit vollkommener Unlöslichkeit der Komponenten

Bei einer übereutektischen Legierung bilden sich während der Erstarrung im Zweiphasenbereich nur Kristalle, die aus dem Legierungselement bestehen (Primärkristalle)!

Im erstarrten Gefüge einer übereutektischen Bismut-Cadmium-Legierung befinden sich dann die primär ausgeschiedenen Cadmiumkristalle (CdPk) eingebettet im Eutektikum wieder.

Übereutektische Legierungen weisen primär ausgeschiedene Kristalle des Legierungsstoffes auf, die in einer eutektischen Grundmasse eingebettet sind!

Bestimmung der Phasenanteile und Gefügeanteile

Grundsätzlich müssen die Begriffe Phase und Gefüge streng auseinander gehalten werden müssen. Als Phase bezeichnet man dabei einen Zustand eines Stoffes, der sich durch eine einheitliche chemische und physikalische Struktur auszeichnet (weitere Informationen siehe hier)! Als Gefügebestandteil bezeichnet man hingegen mikroskopisch abgrenzbare Bereiche mit bestimmten physikalischen Eigenschaften, z.B. einzelne Körner.

Das Eutektikum bspw. ist zwar ein Gefügebestandteil (mikroskopisch sichtbar mit bestimmten physikalischen Eigenschaften), besitzt jedoch keine einheitliche chemische Struktur. Deshalb ist das Eutektikum keine einzelne Phase sondern ein Phasengemisch bestehend aus fein verteilten Cadmiumkristallen (1. Phase) und Bismutkristallen (2. Phase). Die ausgeschiedenen Primärkristalle hingegen sind sowohl Gefügebestandteil (mikroskopisch sichtbar mit bestimmten physikalischen Eigenschaften) als auch Phase (einheitliche chemische Struktur).

Phasenanteile

In den Zweiphasengebieten liegen die Phasen Schmelze und Primärkristalle vor. Wie bereits bei Mischkristalllegierungen, so können auch bei Kristallgemischlegierungen die Phasenanteile mit der entsprechenden Konodenregel bestimmt werden.

Hierzu wird exemplarisch die untereutektische Legierung BiCd15 bei einer Temperatur von 175 °C betrachtet. Ausgehend des Zustandspunktes werden zunächst die entsprechenden Phasengrenzen angefahren. Im Falle der Schmelze ist dies die Liquiduslinie und im Falle der Bismutprimärkristalle die Legierungskonzentration von 0 % Cadmium (100 % Bismut).

Bestimmung der Phasenanteile im Zweiphasengebiet
Abbildung: Bestimmung der Phasenanteile im Zweiphasengebiet

Zur Bestimmung der Phasenanteile von Primärkristallen (BiPk) und Restschmelze (Sm) wird nun die Konodenregel angewendet („gegenüberliegender Hebelarm durch Konodenlänge“). Im vorliegenden Fall ergibt sich der gegenüberliegende Hebelarm der Bismut-Primärkristalle zu b=13 und die gegenüberliegende Hebellänge der Schmelze zu a=15. Somit besitzt die Konode eine Gesamtlänge von a+b=28. Mit diesen Werten können nun der Phasenanteil der Primärkristalle bzw. der Schmelze ermittelt werden:

\begin{align}
\underline{Bi_{Pk}} = \frac{b}{a+b} \cdot 100 \text{ %} = \frac{13}{28} \cdot 100 \text{ %} = \underline{46,4 \text{ %}}   \\[5px]
\underline{Sm} = \frac{a}{a+b} \cdot 100 \text{ %} = \frac{15}{28} \cdot 100 \text{ %} = \underline{53,6 \text{ %}}   \\[5px]
\end{align}

Für die vorliegende Legierung BiCd15 ergibt sich bei 175 °C demnach ein Bi-Primärkristallanteil von 46,4 %. Der restliche Anteil entfällt auf die Phase Schmelze mit 53,6 %.

Gefügeanteile

Ist die betrachtete BiCd15 Legierung vollständig erstarrt, dann liegen im Gefüge die Phasen Bismut und Cadmium vor. Während die primär ausgeschiedenen Bismutkristalle einen eigenen Gefügebestandteil bilden, besteht die eutektische Grundmasse als weiterer Gefügebestandteil aus einem Phasengemisch (aus Cadmium und Bismut).

Um die Anteile der einzelnen Gefügebestandteile am Gesamtgefüge zu ermitteln, kann wiederum die Konodenregel angewendet werden. Dabei wird nun ein beliebiger Zustandspunkt unterhalb der Soliduslinie betrachtet. Welche Temperatur dabei genau gewählt wird spielt keine Rolle, da sich das Gefüge unterhalb der Eutektikalen ohnehin nicht mehr ändert. Analog zum Anfahren der Phasengrenzen werden nun die Hebelarme bis zu den entsprechenden Gefügegrenzen gezogen.

Bestimmung der Gefügeanteile
Abbildung: Bestimmung der Gefügeanteile

Im Falle der Bismut-Primärkristalle ist die Gefügegrenze identisch mit der Phasengrenze bei 0 %, da ja die Primärkristalle sowohl Gefügebestandteil als auch Phase sind. Das Eutektikum besitzt als Phasengemisch eine Cadmiumkonzentration von 40 %. Deshalb liegt auch dort die Gefügegrenze des Eutektikums. Der Hebelarm ist zur Berechnung des Gefügebestandteils somit bis zur eutektischen Konzentration zu ziehen.

Anmerkung: Diese Vorgehensweise ergibt sich auch direkt aus der Tatsache, dass die Berechnung der Phasenanteile im Zweiphasengebiet im Grenzfall auf der Soliduslinie liegt und aus der Restschmelze dann schließlich das Eutektikum hervorgeht. Deshalb kann man sich für die Berechnung der Gefügebestandteile auch einfach einen Zustand unmittelbar vor der Bildung des Eutektikums denken. In diesem Zustandspunkt wird aus der Phase Schmelze dann einfach der Gefügebestandteil Eutektikum.

Bestimmung der Gefügeanteile
Abbildung: Bestimmung der Gefügeanteile

Zur Bestimmung der Gefügeanteile von Primärkristallen (BiPk) und Eutektikum (Eu) wird nun wieder die Konodenregel angewendet. Im vorliegenden Fall ergibt sich der gegenüberliegende Hebelarm der Bismut-Primärkristalle zu b=25 und die gegenüberliegende Hebellänge des Eutektikums zu a=15. Somit besitzt die Konode eine Gesamtlänge von a+b=40. Mit diesen Werten kann nun der Gefügeanteil der Primärkristalle bzw. des Eutektikums ermittelt werden:

\begin{align}
\underline{Bi_{Pk}} = \frac{b}{a+b} \cdot 100 \text{ %} = \frac{25}{40} \cdot 100 \text{ %} = \underline{62,5 \text{ %}}   \\[5px]
\underline{Eu} = \frac{a}{a+b} \cdot 100 \text{ %} = \frac{15}{40} \cdot 100 \text{ %} = \underline{37,5 \text{ %}}   \\[5px]
\end{align}

Für die vorliegende Legierung BiCd15 ergibt sich bei Raumtemperatur demnach ein Primärkristallanteil von 62,5 %. Der restliche Anteil entfällt auf das Eutektikum mit 37,5 %.

Exkurs: Aluminium-Silizium-Legierung für Motorblöcke

Die Bestimmung der im Gefüge vorliegenden Primärkristalle ist für viele Anwendungen von großer Bedeutung. Für das Gießen eines Motorblocks wird häufig eine übereutektische Aluminium-Silizium-Legierung verwendet (wobei die eutektische Zusammensetzung bei 12,6 % Si liegt).

Aufgrund der primärausgeschiedenen sehr harten und damit verschleißfesten Si-Primärkristalle ist es somit möglich, dass der Kolben ohne zusätzliche Bewährung in den Zylinderbohrungen gleitet. Hierfür ist es jedoch notwendig, dass das Gefüge aus mindestens 5 % Si-Primärkristalle besteht.

Mit dieser Forderung und dem Verständnis über die Bestimmung der Gefügeanteile kann dann die erforderliche Legierungskonzentration ermittelt werden. Sie liegt in diesem Fall bei 17,0 % Silizium (AlSi17).

Gefügediagramm

Das unten abgebildete Phasendiagramm zeigt schematisch die einzelnen Phasen einer typischen Kristallgemischlegierung am Beispiel des Legierungssystems Bismut/Cadmium. Zwar besteht das Gefüge im erstarrten Zustand grundsätzlich aus einem Kristallgemisch aus Cadmium- und Bismutkristallen, jedoch kann das Gefüge je nach Legierungszusammensetzung genauer eingeteilt werden.

Bei eutektischen Legierungen besteht das Gefüge ausschließlich aus Eutektikum, d.h. einem sehr feinen Kristallgemisch beider Komponenten. Bei untereutektischen Legierungen treten als Gefügebestandteile zusätzlich noch die zuvor primärausgeschiedenen Kristalle der Basiskomponente auf. Bei übereutektischen Legierungen ergeben sich als weitere Gefügebestandteile neben dem Eutektikum die primärausgeschiedenen Kristalle der Legierungskomponente.

Phasendiagramm und Gefügediagramm eines Legierungssystems mit vollkommener Unlöslichkeit der Komponenten
Abbildung: Phasendiagramm und Gefügediagramm eines Legierungssystems mit vollkommener Unlöslichkeit der Komponenten

Beachte, dass sich mit einer Legierungskonzentration nahe der eutektischen Zusammensetzung die Korngröße der primär ausgeschiedenen Kristalle verringert. Schließlich befindet sich die Legierungskonzentration bereits nahe des eutektischen Punktes. Somit wird nur noch ein geringer Anteil an Primärkristalle ausgeschieden, um die eutektische Zusammensetzung für die vollständige Erstarrung zu erreichen.

Dies wird auch rasch anhand der Konodenregel zur Bestimmung der Gefügeanteile deutlich. Dabei verschieben sich die Gefügeanteile linear mit der Änderung des Auflagepunktes der gedachten Balkenwaage und damit der Legierungskonzentration.

So befindet sich bspw. der „Drehpunkt“ einer 20%-igen Cadmiumlegierung genau in der Mitte des Gesamthebels. Das erstarrte Gefüge besteht somit zu gleichen Massenanteilen aus Bi-Primärkristallen und Eutektikum. Mit zunehmendem Cadmiumgehalt verschiebt sich das Gleichgewicht immer mehr zu einem größeren Anteil an Eutektikum. Bei 40 % Cadmium besteht das Gefüge schließlich zu 100% aus Eutektikum. Umgekehrt führt eine Verringerung des Cadmiumanteils zu einer Verschiebung des Gleichgewichtes hin zu einem größeren Primärkristallanteil. Bei bei 0% Cadmium weist das Gefüge schließlich kein Eutektikum mehr aufweist sondern besteht zu 100 % aus Bismutkristallen. Es ergibt sich somit ein linearer Zusammenhang zwischen dem Cadmiumgehalt und den entsprechenden Gefügebestandteilen.

Unterhalb des oben abgebildeten Phasendiagramms ist der Verlauf der Gefügeanteile gezeigt. Auf diese Weise kann auch ohne Rechnung anhand der Legierungskonzentration sofort der Anteil der jeweiligen Gefügebestandteile bestimmt werden. Eine solche Darstellung der Gefügeanteile in Abhängigkeit der Legierungskonzentration wird auch als Gefügediagramm bezeichnet.

Als Ablesebeispiel wird die 30 %-ige Cadmiumlegierung betrachtet. Gemäß des Gefügediagramms besteht das Gefüge dabei zu 75 % aus Eutektikum und zu 25 % aus Bismutprimärkristallen.

Umgekehrt kann aus dem Gefügediagramm auch für einen gewünschten Primärkristallanteil die erforderliche Legierungskonzentration ermittelt werden. Soll das erstarrte Gefüge bspw. zu 25 % aus Cadmiumprimärkristallen bestehen (entsprechend zu 75 % aus Eutektikum), so ergibt sich aus dem Schaubild eine erforderliche Legierungskonzentration von 55 % Cadmium.