Die Reynolds-Zahl ist eine dimensionslose Ähnlichkeitskenngröße zur Beschreibung der Strömungsvorgänge für erzwungene Strömungen.

Laminare und turbulente Strömung

Im Artikel zur Viskosität wurde voraussetzt, dass die Bewegung des Fluids in einzelnen Schichten aufgeteilt werden kann, die sich gegeneinander verschieben, aber sich dabei nicht durchmischen. Man spricht bei einer solchen Schichtenströmung auch von einer laminaren Strömung. Stellt man sich in Gedanken masselose Teilchen vor, die man in eine solche Strömung einbringt, dann würden sich diese auf geraden Pfaden mit der Strömung mitbewegen. Diese gedachten Strömungspfade werden in diesem Fall auch auch Stromlinien genannt.

Bahnkurven in einer laminaren und einer turbulenten Strömung
Abbildung: Bahnkurven in einer laminaren und einer turbulenten Strömung

Bei hohen Strömungsgeschwindigkeiten treten in Fluiden jedoch Verwirbelungen auf, sodass sich keine Schichtenströmung mehr ergibt. Man spricht in diesem Fall dann auch von einer turbulenten Strömung. Ursache der turbulenten Strömung, sind Störungen in der wohlgeordneten Strömung, die grundsätzlich immer vorhanden sind. Durch einen relativ starken inneren Zusammenhalt des Fluids können diese Störungen aber bis zu einem gewissen Grad ausgeglichen werden, sodass die Strömung weiterhin laminar bleibt.

Animation: Laminare Strömung (oben) und turbulente Strömung (unten) in einem Rohr

Bei hohen Strömungsgeschwindigkeiten, sind die Trägheitskräfte der Fluidteilchen aber so groß, dass die auftretenden Störungen nicht mehr durch den inneren Zusammenhalt ausgeglichen werden können. Es bilden sich Querströmungen aus, die sich mit der Hauptströmung überlagern und so zur Wirbelbildung führen. Ab welcher Strömungsgeschwindigkeit solche Verwirbelungen entstehen, ist auf Seiten des Fluids maßgeblich durch die kinematische Viskosität bestimmt. Eine Hohe kinematische Viskosität bedeutet schließlich eine hohe Zähigkeit des Fluids und damit einen relativ starken inneren Zusammenhalt des Fluids, der in der Lage ist Störungen auszugleichen.

Reynolds-Zahl

Für die Strömungsart (d.h. ob laminar oder turbulent) ist somit das Verhältnis von Trägheit und Zähigkeit des Fluids entscheidend. Ausgedrückt wird dieses Verhältnis durch die sogenannte Reynolds-Zahl Re. Sie ermittelt sich zum Einen über die (mittlere) Strömungsgeschwindigkeit v und die kinematische Viskosität ν (Griechischer Kleinbuchstaben Nu) des Fluids. Zum Anderen ergibt sich die Reynoldszahl über die räumliche Dimension der Strömung, d.h. über deren räumliche Abmessung. Im Falle einer Rohrströmung handelt es sich dabei um den Rohrdurchmesser d. Man spricht in diesem Zusammenhang ganz allgemein von der sogenannten charakteristischen Länge.

Da die kinematische Viskosität über die Dichte mit der dynamischen Viskosität in Zusammenhang steht, kann die Reynolds-Zahl auch über die dynamische Viskosität ausgedrückt werden:

\begin{align}
&\boxed{Re:= \frac{v \cdot d}{\nu} = \frac{v \cdot d \cdot \rho}{\eta} } ~~~\text{Reynolds-Zahl} ~~~~~ [Re]=1 \\[5px]
\end{align}

Die Reynolds-Zahl ist eine dimensionslose Ähnlichkeitskenngröße zur Beschreibung der Strömungsvorgänge für erzwungene Strömungen. Nur bei identischen Reynolds-Zahlen erhält man unabhängig der Größe des Systems stets physikalisch ähnliche Strömungsvorgänge.

Die Reynolds-Zahl hat bei allen Strömungsvorgängen große Bedeutung. In der chemischen Industrie bspw. werden sehr häufig gasförmige und flüssige Stoffe durch Rohrleitungen gepumpt. Bevor chemischen Anlage allerdings im realen Maßstab gebaut werden, werden diese zunächst in verkleinertem Maßstab erprobt bzw. erforscht (z.B. im Labor oder Technikum). Um dabei dieselben bzw. „ähnlichen“ Strömungsverhältnisse wie später in der realen Größe zu erhalten, muss die Reynolds-Zahl in allen Maßstäben dieselbe sein. Man ermittelt also im kleinen Maßstab die entsprechende Reynolds-Zahl und wendet diese dann auf den realen Maßstab an (Scale-Up).

Ebenfalls hat die Reynoldszahl für Modellversuche in Windkanälen oder Wasserkanälen große Bedeutung. Denn auch dabei gilt: nur wenn die Reynoldszahlen im Modellversuch den realen Reynoldszahlen entsprechend, erhält man im Modellversuch valide Ergebnisse, die sich auf die Realität übertragen lassen. Bei umströmten Körpern entspricht die charakteristische Länge L zur Berechnung der Reynoldszahl der Länge des Körpers in Strömungsrichtung:

\begin{align}
&\boxed{Re= \frac{v \cdot L}{\nu} = \frac{v \cdot L \cdot \rho}{\eta} } \\[5px]
\end{align}

Flugzeugmodell im Windkanal zur Untersuchung des Umströmungsverhaltens
Abbildung: Flugzeugmodell im Windkanal zur Untersuchung des Umströmungsverhaltens

Reynoldszahl für Rührerströmungen

In der Chemie haben neben Rohrströmungen auch Strömungen in Rührkesseln eine große Bedeutung, die mit einem Rührer beim Durchmischen von Flüssigkeiten erzeugt werden. Das Strömungsverhalten hängt dabei von der Geschwindigkeit ab, mit der sich der Rührer im Fluid bewegt.

Bestimmung der Reynoldszahl einer Strömung in einem Rührkessel
Abbildung: Bestimmung der Reynoldszahl einer Strömung in einem Rührkessel

Als Bezugspunkt für die Geschwindigkeit wird dabei der äußerste Teils des Rühres zugrundegelegt. Die Geschwindigkeit des Rührers ist somit abhängig von dessen Durchmesser D und von dessen Drehfrequenz f (v~d⋅f). Auch wenn es sich dabei nicht um die eigentliche Strömungsgeschwindigkeit des Fluids handelt, so wird aus praktischen Gründen dennoch diese Geschwindigkeit als Ersatz für „Strömungsgeschwindigkeit“ genutzt, um eine Reynolds-Zahl zu definieren. In diesem speziellen Fall bestimmt sich die Reynoldszahl ReR der Rührerströmung wie folgt (die Drehfrequenz ist in der Einheit Umdrehung pro Sekunde anzugeben):

\begin{align}
&\boxed{Re_\text{R}= \frac{f \cdot D^2}{\nu} = \frac{f \cdot D^2 \cdot \rho}{\eta} } ~~~\text{Reynolds-Zahl für Rührströmungen} \\[5px]
\end{align}

Kritische Reynoldszahlen (Übergang von laminarer zur turbulenter Strömung)

Der Umschlag von laminarer Strömung in eine turbulente Strömung ist für verschiedene Strömungen empirisch untersucht worden. Für Rohrströmungen findet bei Reynoldszahlen um etwa 2300 ein Umschlag von einer laminaren in eine turbulente Strömung statt. Man spricht dabei auch von der kritischen Reynoldszahl. Der Übergangsbereich kann sich bis hin zu Reynoldszahlen von 10.000 erstrecken.

Animation: Laminare und turbulente Strömung in einem Rohr

Als kritische Reynolds-Zahl bezeichnet man die Reynoldszahl bei der damit zu rechnen ist, dass eine laminare Strömung in eine turbulente Strömung übergeht!

Beim Überströmen eines Fluids über eine ebene Platte ist mit einer turbulenten Strömung zu rechnen, wenn die Reynoldszahlen größer 100.000 sind. In Rührerströmungen liegen die kritischen Reynoldszahlen bei etwa 10.000. In diesem Fall müssen turbulente Strömungen kein Nachteil sein, sondern sie tragen im Wesentlichen zum raschen Durchmischen bei!

Im Falle von möglichst energiearm umströmten Körpern wie Fahrzeuge oder Flugzeuge sind turbulente Strömungen aber im Allgemeinen nachteilig, da sie letztlich ein Dissipieren von Energie bedeuten. Deshalb sollten diese Körper auch möglichst stromlinienförmig gebaut sein, damit sich keine Verwirbelungen bilden.

Typische Reynolds-Zahlen für Rohrströmungen

In der Technik hat man es häufig mit Rohrströmungen zu tun. Man denke zum Beispiel an Wasserleitungen oder Gasleitungen in Gebäuden. In solchen Leitungen liegen die Strömungsgeschwindigkeiten im Falle von Wasser in der Größenordnung von 1 m/s. Der Innendurchmesser der Wasserleitungen beträgt dabei etwa 20 mm. Bei einer dynamischen Viskosität des Wassers von 1 mPas (Millipascalsekunde) und einer Dichte von 1000 kg/m³, erhält man bereits Reynolds-Zahlen in der Größenordnung von 20.000!

Ähnliche Ergebnisse erhält man bei Erdgasleitungen mit einem Durchmesser von bspw. 50 mm und einer Strömungsgeschwindigkeit von 5 m/s. Mit einer Dichte von 0,7 kg/m³ und einer dynamischen Viskosität von 11 µPas, ergeben sich Reynoldszahlen von 15.000. Diese Beispiel zeigen, dass turbulente Rohrströmungen in der technischen Praxis weitaus häufiger auftreten als laminare Strömungen!